Nie zu spät für eine glückliche Kindheit

Ich weiß gar nicht, wer diesen Ausspruch geprägt hat: „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit.“ Er kam mir in den Sinn, als ich ein ganz ähnliches Buch wie Mehr Matsch! – mein Monatsbuch für März – gelesen habe: Wie Kinder heute wachsen von Herbert Renz-Polster. Ich habe es letztes Jahr im Sommer gelesen, im Sand, am Strand… im unmittelbaren Kontakt mit den Elementen: Sonne, Sand, Meer und Wind. Das passte prima, denn auch hier geht es darum: schickt die Kinder wieder raus zum Spielen. Und lasst sie ihr Ding machen.

Nicht, dass meine Kindheit nicht glücklich gewesen wäre. Bei der Lektüre sind mir aber ganz neue Punkte aufgegangen, von denen ich bisher nicht wusste, wie entscheidend sie sind (und die meine Eltern bestimmt nicht bewusst gesteuert haben)! Und die für Kinder leider immer weniger selbstverständlich sind.

Renz-Polster schreibt aus einer evolutionsbiologischen Sicht. Über den absolut größten Teil der menschlichen Entwicklung haben die Kinder der Spezies Mensch ihre Kindheit weitgehend draußen verbracht. Unter freiem Himmel. Und zwar zusammen mit anderen Kindern. Nicht schön nach Jahrgängen getrennt, so wie wir das heute in unserem Schulsystem machen, sondern immer altersgemischt. Mit ungefähr drei Jahren wuchs ein Kind aus dem engeren Bereich der Mutter heraus und in die Kindergruppe herein. Weil jeder mal klein war innerhalb dieser Gruppe und irgendwann später auch mal groß, hatte er im Laufe der Zeit unterschiedliche soziale Rollen inne. Mal brauchte er Anleitung, mal war er der besonders kreative Kopf, mal der, der Verantwortung für andere übernommen hat. (Das geht unserer Aufteilung in Jahrgänge heute völlig ab. Da geht es um Vergleichbarkeit und Konkurrenz! Es gibt immer Gewinner und Verlierer!) Entscheidend war dabei: die Kinder waren unter sich. Sie hatten keinen Erwachsenen dabei, der sie beaufsichtigt und kontrolliert hat. Sie haben ihr Ding gemacht.

All diese Faktoren waren in meiner Kindheit sehr ausgeprägt.

1. Ich war viel draußen! Ich bin auf dem Dorf groß geworden, mit einem großen Grundstück ums Haus. Wenn ich mich richtig erinnere, hat meine Mutter uns jeden Tag zum Spielen rausgeschickt, egal welches Wetter war.

2. Da waren immer andere Kinder. Und sie waren unterschiedlich alt. In unserer Straße waren wir sechs Kinder, die regelmäßig um die Häuser gezogen sind. In meiner Verwandtschaft waren wir ein Dutzend Cousinen und Cousins, und wir haben uns jede Woche bei meinen Großeltern getroffen. Besonders mit meinen großen Cousins habe ich mich immer gemessen – die körperlichen Kräfte beim Toben und Kämpfen und die geistigen Kräfte bei Strategiespielen etc. Ich wollte immer mithalten, das war ein riesiger Anreiz.

3. Der Radius, den wir uns erobert haben, wurde zunehmend größer. Wir waren ohne Aufsicht von Erwachsenen unterwegs im Dorf, wir sind über die Felder gestreift, wir waren in den Ställen und Scheunen meiner Großeltern und auch im Wald.

Nie hätte ich gedacht, dass diese Faktoren so wichtig für die Entwicklung von Kindern sind. Aber es erscheint mir einleuchtend und die Erinnerungen, die aufblitzen, sprechen die Sprache von Verbundenheit, Sinnhaftigkeit und Glück.

Um so schmerzhafter ist für mich die Frage: was werden meine Kinder davon – in der Großstadt – erleben können? Welche Haltung müssen wir als Eltern kultivieren, um sie mit Vertrauen in die Welt schicken zu können?

Und mich interessiert: Wie macht ihr das? Welche Lösungen habt ihr für euch gefunden?

3 Gedanken zu „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit

  1. Marlene

    Darüber habe ich auch schon oft nachgedacht. Denn eine gewisse Beaufsichtigung in der Großstadt finde ich auch (lebens)wichtig. Reicht das freie Spiel auf Hinterhöfen aus? Ich bin hin und hergerissen.

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